«Jede Krise erfordert mutige Entscheide»

«Mehr Mut, Mensch», heisst das Buch des Autors Lorenz Wenger. Braucht es besonders in Krisen mutige Entscheide? Wenger gibt im Interview Antworten und formuliert seine sechs Mut-Tipps zum Mitnehmen.

Von Reto Liniger

Herr Wenger, in der Finanzkrise 2010 hat Ben Bernanke eine mutige Geldpolitik verfolgt und war damit sehr erfolgreich. Angst, Verzagtheit und Schwerfälligkeit seien schlechte Ratgeber in der Krise, schreibt er in einem Buch «The Courage to act». Braucht es besonders in Krisen mutige Entscheide?

Die Frage ist interessant, wenn man berücksichtigt, dass das Wort «Krise» im griechischen ursprünglich «Entscheidung» bedeutet. Mut fordert eine klare Entscheidung. Noch mehr als das: Mut fordert «commitment». Das bedeutet Entschlossenheit. Sich mit Haut und Haar für oder gegen etwas zu entscheiden, mit allen Konsequenzen. Ohne das Buch von Bernanke zu kennen, vermute ich, dass er mit dem Titel «Courage to act» genau dieses Commitment meinte. Trotz breiter Kritik aus Politik, sogar aus den eigenen Reihen und auch international, hielt er an seinem Entscheid der expansiven Geldpolitik und Anleihenkäufe fest. Jede Krise erfordert mutige Entscheide, um Veränderungen anzustossen und sich nicht von der Angst paralysieren zu lassen.

Was halten Sie denn von der Losung: Mehr Ruhe, Mensch! Glauben Sie nicht, dass gerade im sich abfinden mit einer Situation, in der Ruhe und Bescheidenheit viel Zufriedenheit liegt?

Das mit der Ruhe gefällt mir und könnte ja vielleicht sogar der Titel eines nächsten Buches sein...? Im Ernst: Gelassenheit ist doch der Schlüssel zu fast allen unseren täglichen Herausforderungen. Nur in der persönlichen Stille liegt die Chance, die wirklich wichtigen Dinge zu erkennen und auch zu entdecken, für was man überhaupt Mut entwickeln möchte. Ziele sind wichtig und schenken Orientierung. Wichtig ist jedoch die Frage: Sind die Ziele, die ich verfolge, tatsächlich meine eigenen?

Also bewusst gewählte Ziele…

Mutig zu handeln, heisst nicht, einfach drauflos zu rennen. Mutig zu handeln bedeutet, nach seinem inneren Kompass, nach seinen Werten zu handeln. Das setzt voraus, dass man diese kennt. Das Sich-abfinden mit einer Situation fordert Demut. Aus eigener Erfahrung weiss ich: Regelmässig Demut zu entwickeln, fördert die Zufriedenheit enorm. Das gelingt nur in Stille. Bei mir zum Beispiel in der Meditation oder beim Tauchen.

Ich will keine neuen Herausforderungen suchen, sondern genügsam meine jetzige Situation akzeptieren. Das ist ein mutiger Entscheid, oder?

Persönlich bin ich der Überzeugung, dass der Mensch natürlich auf Wachstum ausgelegt ist. Dieses Wachstum muss keinesfalls materiell sein. Gerade für mentales, geistiges Wachstum kann Genügsamkeit, Rückzug und Stille sehr förderlich sein. Wie so oft, ist wohl auch hier die gesunde Mischung der Königsweg. Wenn Genügsamkeit ein klarer, bewusster Entscheid ist, ist es mutig.

Wenger: «Tue täglich etwas Neues.»

Die Verhaltensforschung weiss recht genau. Der Mensch scheut Veränderung. Welche Tipps haben Sie an Menschen, die gerne Veränderung hätten, aber es beim besten Willen nicht schaffen?

Veränderung gelingt durch Konstanz. Durchschnittlich braucht eine Veränderung um die 66 Tage, wenn wir denn auch konsequent umsetzen und dranbleiben. Auch mein Buch schrieb sich nicht über Nacht, sondern nur Wort für Wort, Satz für Satz, Kapitel für Kapitel. Darin beschreibe ich auch den neuronalen Prozess der Veränderung und der Etablierung neuer Gewohnheiten. Doch zum Mitnehmen hier gerne ein paar Tipps, wie wir unseren Mut-Muskel trainieren können:

  1. Entdecke deine ureigenen Ängste, Zweifel und Widerstände, gehe ihnen auf den Grund und stelle dich ihnen bewusst.
  2. Erkenne, was dich innerlich antreibt, wofür du brennst, was dich inspiriert und berührt.
  3. Treffe deine Entscheidungen bewusst. Jedes «Ja» impliziert zeitgleich ein Vielfaches an «Neins». Beispiel: du entscheidest dich FÜR den Wohnsitz in einer bestimmten Gemeinde? Dann entscheidest du dich zeitgleich GEGEN alle anderen 2147 Gemeinden.
  4. In der Umsetzung auf die kleinen Schritte und Teilerfolge zu achten, ohne das grosse Ganze aus den Augen zu verlieren.
  5. Bereits auf dem Weg Freude zu haben an dem, was man gerade Neues tut und erlebt, und nicht erst am Ziel.
  6. Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht? Tue täglich etwas Neues oder etwas Vertrautes in neuer Art. Tue Unbequemes, stelle dich bewusst neuen Herausforderungen, besuche neue Orte, spreche Unbekannte an und sag öfters JA zu Ungewohntem.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews