Nur nicht den Trend verschlafen!

Trends beeinflussen die Wirtschaft ständig. Zwar ist es menschlich, einen Wandel zu verschlafen. Besonders heute braucht es aber die Fähigkeit, über den Augenblick hinauszudenken. Nur Firmen, die den Wandel leben, bleiben zukunftsfähig.

Von Reto Liniger

Beim Fleischverarbeiter Bell schrillen die Alarmglocken: Herr und Frau Schweizer essen immer weniger Fleisch. Die Gründe dafür sind unterschiedlich; die einen monieren, die traditionelle Fleischproduktion belaste die Umwelt, den anderen sind die Bedingungen in den Schlachthöfen ein Dorn im Auge. Der Trend, auf Fleisch zu verzichten, hält an – und so könnte schon bald in den Regalen der Detailhändler stehen, wovor viele die Nase rümpfen: Fleisch aus dem Labor. Die Bell-Gruppe hat in den letzten Jahren in das niederländische Unternehmen Mosa Meat investiert, das Startup ist spezialisiert auf die Herstellung von Rindfleisch, das aus einer einzelnen Tierzelle im Labor kultiviert wird. In einigen Jahren könnte daraus eine Alternative für jene Konsumentinnen und Konsumenten entstehen, die aus ethischen Gründen ihren Fleischkonsum hinterfragen. «Die Bell Food Group ist überzeugt, dass es sich beim kultivierten Rindfleisch um eine spannende Technologie mit Zukunftspotenzial handelt», sagt Fabian Vetsch, Mediensprecher von Bell. 

Darwin lässt grüssen 

Fleischverzicht, Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder Urbanisierung – alles Trends, die Firmen vor neue Herausforderungen stellen; Anpassung ist gefragt, ganz wie bei Darwin. Überleben wird nur, wer sich am besten an die veränderten Bedingungen anzupassen vermag. Viele Schweizer Firmen seien allerdings nicht bereit, diese Anpassung zu leisten. Das ergab der aktuelle Swiss Change Readiness Index. Auf einer Skala von 1 bis 100 zeigt der Index auf, wie Schweizer Firmen zum wirtschaftlichen und technologischen Wandel stehen. Seit der ersten Erhebung im Jahr 2017 fiel der Index für Schweizer Unternehmen von 63 auf 59 Punkte. Heisst: Wandel stellt viele Firmen zunehmend vor Probleme. 

Mehr Agilität ist gefragt

Dieser leichte Rückgang zeige, dass die Unternehmen Mühe mit Wandel bekunden, schreibt das Beratungsunternehmen Staufen.Inova, das die Studie durchführte. «Viele Unternehmen haben noch immer einen weiten Weg vor sich bei der Vorbereitung auf die Herausforderungen von morgen.» Das Beratungsunternehmen sieht in vielen Firmen die Führungsmethoden als Hauptproblem. «Vielen Unternehmen fällt es offensichtlich nach wie vor schwer, moderne Führungsmethoden im Alltag wirklich umzusetzen.» Mehr Agilität statt rigide Führungsstrukturen ist gefragt. (Siehe dazu Bernpunkt 19/2018).

 

«Um mit ihrem Unternehmen auch in Zukunft Erfolg zu haben, müssten Führungskräfte mit offenen Augen und Ohren agieren.»

 

Nur wer es schafft, frühzeitig auf veränderte Kundenbedürfnisse zu reagieren oder neue Technologien umzusetzen, bleibt zukunftsfähig. Um mit ihrem Unternehmen auch in Zukunft Erfolg zu haben, müssten Führungskräfte mit offenen Augen und Ohren agieren, sagt Roland Gfeller von der APP Unternehmensberatung AG. «Wichtig ist, dass man nicht jeder Idee hinterherrennen muss. Vielmehr sollen auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse strategische Entscheidungen getroffen und ganzheitlich sowie konsequent umgesetzt werden.»

Firmen, die den Wandel verschlafen

Es gibt genügend Beispiele von Firmen, die den Wandel verschlafen haben – den deutschen Autobauern wird dies nachgesagt. Sie hätten den Wandel vom Verbrenner auf die Elektroantriebe verpennt. Bereits prophezeien einige der deutschen Autoindustrie ein Schicksal, wie es einst die stolzen Hersteller von Kameras oder TV-Geräten ereilte, weil sie den Wandel von analog auf digital verpassten. Klar ist: Der Verbrenner wird über kurz oder lang verschwinden, denn gesellschaftlich verliert er immer mehr an Akzeptanz. 

Dabei sei es menschlich, Wandel zu verschlafen. Unser Gehirn sei «veränderungsaversiv», schreibt der Hirnforscher Gerhard Roth. «Wir werden angetrieben von einer Erwartung auf eine Belohnung.» Weitermachen wie bisher, trage eine Belohnung bereits in sich. «Erst wenn der erwartete Gewinn doppelt so gross ist wie der bisherige, sind Menschen bereit, etwas zu verändern», schreibt Roth. Der Verhaltensökonom Daniel Kahnemann spricht von der Verlustaversion des Menschen. Der Mensch gewichtet Verluste höher als Gewinne: Der Ärger über den Verlust von 100 Franken wird wesentlich intensiver erlebt als die Freude über einen Gewinn der gleichen Summe. 

 Ist der Mensch «veränderungsaversiv»?

Lange Zeit galt in den Wirtschaftswissenschaften die Annahme, dass der wirtschaftlich denkende Mensch rational und nutzenmaximierend agiere. Das Phänomen der Verlustaversion zeigt nun: In Entscheidungssituationen bewerten Menschen eine Investition in die Zukunft – eine Solaranlage beispielsweise – oftmals nicht nach ihrem Endergebnis, sondern meist nach dem Preis zum Zeitpunkt des Kaufs.

Dieses Phänomen liefert eine Erklärung, warum der Wandel in eine nachhaltige Wirtschaft nur schleppend verläuft. Augenfällig sind die hohen Investitionen in die Nachhaltigkeit; der Gewinn, der daraus erwachsen könnte, bleibt diffuse Zukunftsmusik. Die Transformation in ein nachhaltiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist ein Megatrend, den viele Firmen spüren, sagt Dr. Christoph Bader. Er leitet zurzeit eine Veranstaltung an der Universität Bern zum Thema «Wirtschaft im Wandel», trotzdem verlaufe die Transformation nur schleppend. «Wir wissen seit 30 Jahren, dass wir unsere Wirtschaft und unsere Gewohnheiten verändern müssen, es ist genügend Wissen vorhanden – trotzdem geht wenig». 

Es braucht einen Auslöser

Dass die Menschen auf Ratschläge der Wissenschaft hören oder aus Vernunftgründen ihr Verhalten ändern, sei ein Irrglaube. Es brauche einen Auslöser, ist Bader überzeugt. Ein solcher Auslöser könne sein, wenn Menschen realisieren, dass sie ganz leicht Abfall sparen könnten. Dies spornt an, es weiter zu tun. Auch negative Erfahrungen können Auslöser sein, beispielsweise eine Wanderung auf einem Gletscher, der wegen der Erwärmung geschrumpft ist. «Je stärker die unhaltbare Situation für die Menschen spürbar wird, desto eher kommt Wandel zustande», sagt Bader.

Bestimmt immer der Konsument? Bei Firmen verläuft Wandel meist über Nachfrage. In der klassischen Ökonomie geht Veränderung immer vom Konsumenten aus: Der Konsument bestimmt die Nachfrage, die Firmen ziehen nach. Doch Unternehmen kreieren auch aktiv Bedürfnisse. «Dies sollte nicht nur zwecks Profitmaximierung geschehen, sondern im Sinne einer nachhaltigen Gesellschaft vor allem zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen wie dem Klimawandel oder den steigenden Ungleichheiten beitragen.» Wandel darf also auch von den Firmen ausgehen. Die Berner Firma Nova Taxi betreibt Klimaschutz aus Verantwortungsbewusstsein und legt so heute die Basis für ihren Energiekonsum von morgen. «Wir sind das einzige klimaneutrale Taxiunternehmen der ganzen Schweiz», erklärt Inhaber und Geschäftsführer Markus Kunz.

 

«Wir sollten uns vermehrt Zeit nehmen, uns darüber Gedanken zu machen, ob das, was wir heute tun, mit Blick in die Zukunft richtig ist.»

 

Wandel liegt dem Menschen nicht sonderlich. Die Aufmerksamkeit des Menschen ist begrenzt, wir konzentrieren uns lieber auf Herausforderungen, die unser Leben unmittelbar betreffen, als weit in die Zukunft zu planen. «Auf das Naheliegende zu achten, ist ein Überbleibsel aus Urzeiten, als der Mensch es sich nicht leisten konnte, langfristig zu planen, sondern jeden Tag damit beschäftigt war, zu überleben – etwa zu vermeiden, von einem Löwen gefressen zu werden», sagt die Psychologin Elke Weber der NZZ.

Auf Jahre hinaus zu planen, war dagegen kaum von Belang. Fleischverarbeiter Bell hat untrügliche Zeichen erhalten, dass der Wind drehen könnte. Die Kritik an der traditionellen Fleischverarbeitung nimmt zu, der Markt könnte sich langfristig verändern – es braucht Alternativen für die Zukunft. Ob Fleisch aus dem Labor eine Alternative darstellt, wird sich weisen. Sicher ist: Bell schaut in die Zukunft und handelt. Elke Weber ist optimistisch, der Mensch sei lernfähig. Er könne lernen, über den Augenblick hinauszudenken. Ihr Ratschlag: «Wir sollten uns vermehrt Zeit nehmen, uns darüber Gedanken zu machen, ob das, was wir heute tun, mit Blick in die Zukunft richtig ist.»