Lieferkettenprobleme machen Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft zunehmend unabdingbar

Die in den letzten Jahren vermehrt aufgekommenen Lieferkettenprobleme werden in den nächsten Jahren kaum verschwinden: Da der Materialkonsum weiter steigen wird, müssen die Materialen zunehmend effizienter genutzt und deren Kreisläufe geschlossen werden. Es braucht eine Transformation von linearen zu zirkulären Geschäftsmodellen. Der Weg dahin ist aber noch lang. Aktuell beschäftigen sich gerade mal rund 10% der Unternehmen substanziell mit einer Kreislaufwirtschaft.

Lieferkettenprobleme behindern die Weltwirtschaft

Bei Rohstoffen, wie Holz, Beton und Stahl, aber auch bei verschiedenen Vorprodukten treten vermehrt Lieferschwierigkeiten auf: Diese Lieferkettenprobleme sowie höhere Beschaffungskosten belasten die Weltwirtschaft. Das Coronavirus verursachte Lock-Downs, strengere Grenzkontrollen und Veränderungen im Konsumverhalten (z.B. zunehmende Verlagerung in Richtung Onlinehandel, Ausgaben für Urlaub werden zunehmend in Unterhaltungselektronik und Möbel investiert), was wiederum zu Rohstoffknappheit und Überforderung der Lagerkapazitäten führte. Aufgrund des Ukraine-Krieges wurden Handelsströme in die Ukraine und Russland stark beeinträchtigt, was insbesondere den Bezug von spezifischen Metall-Rohstoffen wie Palladium oder Titan stark erschwert. Handelsstreitigkeiten zwischen China und Australien hatten eine Rationierung des Stroms in China zur Folge, was sich wiederum auf die lokale Produktionskapazität auswirkte.1

Die Lieferkettenprobleme werden wohl in Zukunft nicht kleiner werden. Sowohl die Weltbevölkerung wie auch die Weltwirtschaft dürften zukünftig weiterwachsen. Entsprechend wird damit gerechnet, dass der globale Materiaverbrauch von 79 Milliarden Tonnen in 2011 bis 2060 auf 167 Milliarden Tonnen ansteigen, sich also mehr als verdoppeln wird (siehe Abbildung 1).2 Länder dürften damit auch zukünftig weiter mit Materialknappheit zu kämpfen haben. Diese Gefahr ist für rohstoffarme Länder wie die Schweiz oder Deutschland umso grösser. Das Management von Materialien wird dadurch zunehmend nicht nur eine ökologische Herausforderung – die OECD geht davon aus, dass mehr als 50% des globalen CO2 Ausstosses durch Materialmanagement verursacht wird – sondern auch wirtschaftlich von zentraler Bedeutung.


Abbildung 1: Entwicklung der Materialnutzung über die Zeit (Quelle: eigene Grafik basierend auf OECD, 2020) 

Kreislaufwirtschaft als Ausweg für Lieferkettenprobleme

Wollen sich Unternehmen und Länder nachhaltig gegen Lieferkettenprobleme wappnen, braucht es ein substanzielles Umdenken in der Wirtschaft. Bisher agieren die meisten Unternehmen in linearen Geschäftsmodellen, wo Ressourcen genutzt und dann im Abfall landen. Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, wird es zentral sein, dass effizienter mit bestehenden Ressourcen umgegangen wird.

Zentrales Ziel einer Kreislaufwirtschaft ist es, dass bestehende Ressourcen so lange und so effizient wie möglich genutzt werden. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft umfasst Aktivitäten im gesamten Produktlebenszyklus und ermöglicht verlangsamte Ressourcenkreisläufe durch Verlängerung der Produktlebensdauer (z.B. Denken in Kaskaden, Verbesserung des Reparaturservices, Erhöhung der Produktqualität) und Wiederaufbereitung, geschlossene Ressourcenkreisläufe durch Recycling, Wiederverwendung, Upcycling und erhöhte Ressourceneffizienz durch den Einsatz von weniger Ressourcen pro Produkt (siehe Abbildung 2). Je nach Art der Auswirkung können diese Aktivitäten in drei Bereiche kategorisiert werden: (a) Effizienz («Verengung»), (b) Verlängerung der Lebensdauer («Verlangsamung») und (c) Schliessung von Stoffströmen, z.B. durch Rückführung biologischer Nährstoffe in die natürliche Umwelt («Schliessung»).3


Abbildung 2: Zirkuläre Unternehmensaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette (Quelle: Stucki & Wörter, 2021) 

Aktueller Stand der Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft

Immer mehr Unternehmen versuchen, ihre Kreislaufwirtschafts-Aktivitäten auszubauen. Insbesondere grosse Unternehmen wie Patagonia, Caterpillar, Hilti, IKEA oder Philips haben Kreislaufwirtschafts-Strategien in ihre Geschäftstätigkeit integriert. Obwohl diese Vorzeigeunternehmen ein vielversprechendes Engagement zeigen, ist die Kreislaufwirtschaft noch nicht im Mainstream angekommen, und selbst bei diesen Branchenführern machen Produktsysteme, die wirklich eine Kreislaufwirtschaft unterstützen, nur einen kleinen Teil ihrer gesamten Wirtschaftsleistung aus.

Jedes Jahr werden weltweit 100 Milliarden Tonnen an Materialien verbraucht. Stoffflussanalysen haben gezeigt, dass im Jahr 2020 nur 8,6% dieser Materialien nach ihrem Gebrauch wieder in die Wirtschaft zurückgeführt wurden, also einen geschlossenen Materialkreislauf bilden.4 Doch wie zuvor erläutert, geht eine Kreislaufwirtschaft über die reine Schliessung von Materialkreisläufen hinaus. Genau so wichtig ist es, diese Kreisläufe zu verlangsamen bzw. die Kreisläufe effizienter auszugestalten. Solche Entwicklungen sind mit reinen Stoffflussanalysen kaum abzubilden. Massnahmen in diesen Bereichen werden primär direkt in Unternehmen ergriffen, indem die Materialbeschaffung, das Design, die Produktion oder auch die After-Sales Aktivitäten spezifisch auf die Kreislaufwirtschaft ausgerichtet werden. Was es deshalb braucht, sind spezifische Indikatoren, welche auf die Kreislaufwirtschafts-Aktivitäten in Unternehmen abzielen.

Die Berner Fachhochschule (BFH) hat zusammen mit der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich einen neuen empirischen Ansatz zur Messung von Kreislaufwirtschaftsaktivitäten auf Unternehmensebene in verschiedenen Branchen und Grössenklassen entwickelt und breit getestet.5 Basierend auf diesem Konzept wurden 2020 für die Schweiz – und somit wohl als weltweit erstes Land – repräsentative Daten erhoben.6

Die Ergebnisse zeigen, dass wir bei der Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft noch am Anfang stehen. Rund 10% der Unternehmen investieren derzeit substanziell in die Kreislaufwirtschaft. Dabei spielt es kaum eine Rolle, welche Indikatoren betrachtet werden: Anzahl der umgesetzten Aktivitäten, strategische Verankerung, Anteil der Investitionen oder Anteil des Umsatzes (siehe Abbildung 3). Auffallend ist, dass die restlichen 90% der Unternehmen wirklich noch ganz am Anfang stehen: 37% aller Unternehmen haben zwischen 2017 und 2019 keine Massnahmen zur Steigerung ihrer ökologischen Nachhaltigkeit umgesetzt, sie scheinen also noch nicht einmal einfache Effizienzmassnahmen substanziell in Angriff genommen zu haben.


Abbildung 3: VIer Indikatoren zur Abbildung der Kreislaufwirtschaft (Quelle: Stucki & Wörner, 2021)

Bemerkungen: Verankerung im Geschäftsmodell: Wie stark wurden solche Kreislaufwirtschafts-Aktivitäten im Geschäftsmodell verankert; Investitionsanteil: Was ist der Anteil der Investitionen, welcher für solche Aktivitäten aufgewendet wurde; Anzahl Massnahmen: Wie viele der 27 in der Umfrage abgefragten Massnahmen zur Steigerung der Kreislaufwirtschaft wurden umgesetzt; Umsatzanteil: Wie gross ist der Anteil des Umsatzes, welcher mit solchen Produkten/DIenstleistungen erzielt wurde.

Aktuell bilden bei den meisten Unternehmen solche Effizienzmassnahmen noch klar den Kern ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten. Dies wird deutlich, wenn man die Massnahmen betrachtet, welche am meisten umgesetzt wurden. 27% der Unternehmen haben den Materialverbrauch (u.a. Verpackung, Papier) im Produktionsprozess reduziert. 19% der Unternehmen haben den ökologischen Fussabdruck bei Neuanschaffungen von Produktionsanlagen reduziert. 19% der Unternehmen haben die Umweltauswirkungen des Produktionsprozesses (Energieverbrauch, Wasser-, Boden-, Luft- oder Lärmbelastung) verringert. All diese Massnahmen tragen dazu bei, die Effizienz der bestehenden Materialflüsse zu erhöhen.

Massnahmen, die sich mit der Kreislaufwirtschaft im engeren Sinne befassen und zur Schliessung von Materialkreisläufen beitragen, wurden wesentlich seltener ergriffen. So haben beispielsweise 5% der Unternehmen Massnahmen zur Verbesserung des Wiederverkaufs/der Aufwertung von zurückgegebenen Produkten durchgeführt. Darüber hinaus muss gesagt werden, dass selbst diese 5% der Unternehmen wahrscheinlich nur Massnahmen für bestimmte Bereiche oder Produkte ergriffen haben, diese Massnahmen aber wohl nur selten wirklich den Kern der Unternehmen erreicht haben.

Kreislaufwirtschaft bietet Chancen

Soll die Kreislaufwirtschaft bei der Bewältigung von Lieferkettenproblemen zukünftig eine signifikante Rolle einnehmen, müssen diese Hürden rasch abgebaut werden. Die EU nimmt sich diesem Thema zunehmend an, und hat mit dem Green Deal konkrete neue Vorschläge erarbeitet, um nachhaltige und zirkuläre Produkte zur Norm zu machen und die Ressourcenunabhängigkeit Europas zu fördern.

Die Kreislaufwirtschaft sollte dabei nicht nur als eine Pflicht, sondern gerade auch als eine Chance verstanden werden. Basierend auf den erhobenen Umfragedaten wurden auch ökonometrische Regressionsanalysen durchgeführt, und so eine Charakterisierung der Unternehmen mit Aktivitäten in der Kreislaufwirtschaft vorgenommen.7 Dabei zeigte sich, dass das Innovationspotenzial in den Unternehmen eine zentrale Charakteristik für die Umsetzung solcher Aktivitäten darstellt. Dies ist insofern plausibel, da Kreislaufwirtschafts-Aktivitäten letztendlich spezifische Innovationsaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Unternehmen darstellen, mit dem Ziel insgesamt Produkte und Prozesse zirkulärer auszugestalten.

Dies zeigt, dass die Kreislaufwirtschaft insbesondere für innovationsstarke Länder wie Deutschland oder die Schweiz eine grosse Chance darstellt. Mit der bestehenden Innovationsinfrastruktur und dem Wissen wie sich Innovation erfolgreich umsetzten lässt, wären Unternehmen in diesen Ländern prädestiniert, um bei dieser Transformation eine Vorreiterrolle einzunehmen, und sich so gleichzeitig auch besser vor anstehenden Lieferkettenproblemen zu wappnen.

Statusbericht zur Kreislaufwirtschaft in der Schweiz
Basierend auf einem eigens entwickelten Konzept zur Abbildung der Kreislaufwirtschaft auf Unternehmensebene wurden 2020 für die Schweiz repräsentative Unternehmensdaten gesammelt. Als Basis dienten die rund 8000 Unternehmen des für die Schweiz repräsentativen KOF Unternehmenspanels. Diese Unternehmen wurden schriftlich befragt (Rücklaufquote: 29,1 %). Bei der Umfrage wurde für 27 konkrete Aktivitäten aus dem Bereich der Kreislaufwirtschaft erhoben, in welchen Bereichen die Unternehmen im Zeitraum 2017 bis 2019 messbare Veränderungen erzielt haben. Die erhobenen Daten erlauben einen Vergleich zwischen Industrien, Regionen und Unternehmensgrössenklassen und zeigen so, erstmals für die Schweiz – und wohl auch auf internationaler Ebene – ein repräsentatives und differenziertes Bild der Verbreitung zirkulärer Aktivitäten in den Unternehmen.

 

Fussnoten:
1 https://www.d-velop.de/blog/branchenprozesse/lieferketten/
2 OECD (2020). Environment at a Glance 2020, OECD Publishing, Paris, https://www.oecd.org/environment/environment-at-a-glance/
3 Bocken, N. M., De Pauw, I., Bakker, C., & Van Der Grinten, B. (2016). Product design and business model strategies for a circular economy. Journal of Industrial and Production Engineering, 33(5), 308-320.
4 Circle Economy (2022).The Circularity Gap Report 2022 (pp. 1-64, Rep.). Amsterdam: Circle Economy.
5 Circle Economy (2022).The Circularity Gap Report 2022 (pp. 1-64, Rep.). Amsterdam: Circle Economy.
6 Für eine ausführliche Diskussion der Ergebnisse siehe Stucki & Wörter (2021): Stucki, T. & Wörter, M. (2021) Statusbericht der Schweizer Kreislaufwirtschaft – Erste repräsentative Studie zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft auf Unternehmensebene. Schlussbericht im Auftrag des Bundeamts für Umwelt und Circular Economy Switzerland. Berner Fachhochschule Wirtschaft, ETH Zürich, KOF Konjunkturforschungsstelle.
7 Stucki, T., Wörter, M., & Loumeau, N. (2023). Clearing the fog: How circular economy transition can be measured at the company level. Journal of Environmental Management, 326, 116749.

Gastautor: Prof. Dr. Tobias Stucki, Berner Fachhochschule Wirtschaft