«Es kommt oft anders»

Mark Werren ist seit zehn Jahren Berner Stadtplaner. Im Interview spricht der Architekt über Stadtspaziergänge an unvertraute Orte, über Ungeduld und über seinen Wunsch nach mehr grundsätzlichen Diskussionen.

Von Kaspar Meuli 

Mark Werren, waren Sie schon immer ein Berner?

Nein, ich bin auf dem Land zwischen Bern und Burgdorf aufgewachsen. In Zürich und bei längeren Arbeitsaufenthalten in Paris und New York habe ich das urbane Leben schätzen gelernt. In die Stadt Bern kam ich erst zur Gründung eines Architekturbüros. Heute bin ich mit Leib und Seele Stadt-Berner.

Ihre Lieblingsorte?

Der Blick von der Kornhausbrücke auf die Stadt mit dem gewaltigen Alpenpanorama fasziniert mich, oder auch von der Monbijou-Brücke in den Aareraum hinunter mit dem Bundeshaus als Kulisse im Hintergrund. Mir gefallen auch die weiten, offenen Perspektiven von der Grossen Schanze oder vielen Berner Hochhäusern…

…also eher das gebaute Bern und nicht dort, wo es an den Rändern neu entsteht?

Die vielen Entwicklungsgebiete erfahre ich gerne mit dem Velo. Die Bewegung vom Zentrum an die Peripherie oder umgekehrt ist jedes Mal wie ein spannender Film mit neuen Beobachtungen und Erkenntnissen.

Gibt es in Bern auch Orte, an denen Sie sich nicht gerne aufhalten?

Es gibt Orte, die weniger vertraut sind, und es tut gut, sich dort bewusst Zeit zu nehmen. Unter Viadukten zum Beispiel. Oder in ruppigen Gewerbegebieten. Manche Räume wirken zuerst ungewohnt, bei Nacht und Nebel unnahbar. Mit dem Hinschauen und Erleben, werden auch diese Orte Teil des vertrauten Stadtbildes.

Ihre Sorgenkinder als Stadtplaner?

Lösbar ist fast alles. Ich habe den Grundoptimismus, die Zuversicht, dass die Stadt mit all den Menschen, die daran arbeiten, auch in Zukunft sehr lebenswert bleibt. Vor uns wurde schon Jahrhunderte lang an dieser Stadt gebaut. Die Lösung kommt oft anders als erwartet, aber manchmal sogar besser. Was mich umtreibt, sind weniger die Sorgen, als meine Ungeduld: Die vielen Ideen und Initiativen, Dinge zu bewegen, die es für Bern gibt, möchte ich schneller umsetzen. Es geht oft Jahre, bis aus einer Idee ein bezugsbereites Gebäude oder ein neuer Ort entsteht. Das ist fast nicht auszuhalten und braucht Biss.

Haben Sie den Eindruck, als Stadtplaner in einer guten Zeit zu leben?

In den letzten zehn Jahren haben wir viele neue Projekte und Planungen erarbeitet. Es ist ein Privileg, diese Aufgabe in einer Zeit des Wachsens erfüllen zu dürfen. Seit der Revision des Raumplanungsgesetztes hinsichtlich des Landschaftsschutzes ist klar, dass auch in Bern nicht mehr draussen auf der grünen Wiese gebaut werden darf. Das zwingt dazu, noch sorgfältiger zu denken und viel konsequenter nach einer höheren Dichte und Qualität des nun beschränkten Siedlungsraumes zu streben.

Warum sind eigentlich früher viel homogenere Quartiere entstanden?

Angefangen bei der Altstadt über das Kirchenfeld bis zum Breitenrain. Zum einen leben wir heute in einer liberalen Wohlstandsgesellschaft mit einer Vielzahl von Einflüssen und Verwirklichungsideen, aber auch mit kurzfristigen Modetrends. Und: Es gibt auch weniger Konventionen. Zum andern ist heute die Palette von Baumaterialien und Bautechniken fast unbegrenzt. Häuser aus Glas, Metall und Kunststoff, verspiegelt und bunt – alles möglich. Früher baute man handwerklich, mit beschränkten und lokalen Ressourcen. Das führte dazu, dass viele Städte viel homogener mit ortsspezifischen Materialien und klar erkennbarer örtlicher Handwerkstradition erbaut wurden. Wenn heute ein hochwertiges und homogenes Quartier entstehen soll, müssen sich alle auf eine starke Idee und griffige und steuernde Gestaltungsregeln einigen. Das widerspricht einem selbstverliebten und individualistischen Zeitgeist.

Stört es Sie, dass ein neues Quartier wie zum Beispiel Brünnen alles andere als homogen wirkt?

In Brünnen fehlt mir eher die soziale Mischung, die urbane Dichte und hohe Nutzungsvielfalt. Meine Vorgänger schafften ein solides städtebauliches Gerüst, mit Strassen, Plätzen, Freiräumen und einigen wenigen Regeln. Die Stadt wollte nicht zu viel lenken, sondern auf Bauherrschaften, ihre Architekten und parzellenweise Wettbewerbe vertrauen. Aber das hat nicht wirklich funktioniert. Grosse Institutionelle realisierten grosse Mietshäuser. Das Verständnis für die städtebaulichen Leitideen fehlte, die Umgebungen sind wenig einladend, die Bauten nehmen kaum Bezug aufeinander. Die Vorstellung, man könne die städtebauliche Verantwortung in die Hand von vielen Beteiligten legen, bewährte sich zumindest über den langen Zeitraum gesehen nicht.

Werren: «Lösbar ist fast alles.»

Können wir bei den Projekten, die Sie prägen - wie dem Viererfeld -, mit besseren Resultaten rechnen?

Der Wettbewerb deckte zwei Denkebenen ab. Die städtebauliche Idee und erste Beispiele für konkrete Bauten – quasi der Test für die Praktikabilität der Leitidee. Daraus abgeleitet gibt es ein Set aus klaren Spielregeln. Wichtig sind der menschliche Massstab mit einer baulichen Kleinteiligkeit, die starke soziale Durchmischung oder die Vielfalt der Erdgeschossnutzungen. Im Viererfeld soll ein buntes und lebendiges Quartier entstehen. Da sind passende Gebäude und innovative Wohnkonzepte gefragt. Das Ziel ist ein sympathisches und sehr lebendiges Quartier, vergleichbar vielleicht mit der Lorraine oder der Länggasse. 

Wie viel haben die Bernerinnen und Berner eigentlich zur Entwicklung ihrer Stadt zu sagen?

Interessante Frage! Wie die Vision und Zukunft unserer Stadt aussehen soll, bestimmt die Exekutive mit dem Stadtentwicklungskonzept. Ob hingegen ein Schulhaus oder Schwimmbad gebaut wird, bestimmt der Souverän. Könnte es nicht gerade umgekehrt sein? Sollten nicht eher die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagen, wie und wohin sich die Stadt grundsätzlich entwickeln soll? Über die Frage des Wachstums oder wie viel Verkehr wir ganz grundsätzlich in Zukunft wollen, gibt es keine kommunale Abstimmung. Im Abstimmungskampf im vergangen März zu den Bau- und Verkehrsmassnahmen beim Bahnhof Bern hat man über Bäume und eine nicht zur Debatte stehende Velostation gestritten. Eher Details im Verhältnis zur Frage nach der Vision der Stadt.

 

«In der Stadtentwicklung kommt es oft anders als erwartet, dafür manchmal auch besser.»

 

Sie würden sich Abstimmungen zu Grundsatzfragen wünschen?

Ja. Als Stimmbürger stimme ich zwar über das Budget ab, kann mich aber nicht zu grundsätzlichen Stossrichtungen äussern. Allerdings würde eine konsequente Realisierung dieses Volkswillens deutlich mehr Entscheidungskompetenz und höhere finanzielle Schwellenwerte für den Stadtrat und den Gemeinderat bedingen.

Ist es für Sie als Stadtplaner, der in grossen Zusammenhängen denkt, frustrierend, dass am Schluss um Bäume gestritten wird?

Die Bevölkerung trägt praktisch alle raumplanerischen und baulichen Vorschläge der Stadt mit. Unser politisches System ist zwar nicht schnell, und es ist schwierig, grosse Würfe zu landen, aber es ist auch schwierig, grosse Fehler zu machen. Wenn ein Vorhaben ein zweites Mal zur Abstimmung kommt, ist es besser verankert und setzt sich dann durch. So schlecht ist der Schweizer Weg gar nicht. Und ich vertraue vor allem darauf, dass die jungen engagierten Menschen von heute das Bern von morgen sorgfältig und lebenswert weiterentwickeln.

 

Zur Person

Mark Werren hat an der ETH Zürich Architektur studiert und arbeitete danach in mehreren Büros im In- und Ausland. 1989 gründete er mit Partnern die GWJ Architekten AG in Bern. Er unterrichtete an der Fachhochschule für Technik und Architektur in Burgdorf. 2010 wurde er vom Gemeinderat der Stadt Bern zum Stadtplaner ernannt.